RAUS GEHEN

Kinderfotos 70er Jahre

In den 70ern bedeutete raus gehen mehr als nur an der frischen Luft spielen. Es waren Abenteuer außerhalb der Aufsicht der Eltern. 

Bei Wind und Wetter zog es alle Kinder raus in die Freiheit. Es wurde gespielt, entdeckt oder einfach nur Unsinn getrieben. Alter, Geschlecht oder soziale Herkunft spielten nur eine untergeordnete Rolle und wenn es gut lief wurden Banden gegründet um den Kindern der Nachbarstrasse Paroli zu bieten.



Mama, darf ich raus?

Nach der Schule gab es bei uns das gleiche Ritual. Erst Händewaschen, dann umziehen (gute Kleidung für die Schule, alte Klamotten für Daheim), dann Essen, dann Hausaufgaben, danach Freizeit. Mein Vater konnte sogar in der Pause zum Essen nach Hause. Das hatte den Vorteil, dass wir alle zusammen Mittag essen konnten und es gleichzeitig schnell gehen musste. Der Nachteil war allerdings, dass schlechte Klassenarbeiten direkt nach der Schule auch vom Vater kommentiert wurden- und das war nicht immer schön. Die Hausaufgaben waren bei mir immer schnell erledigt (siehe schlechte Klassenarbeiten) und dann kam die beste Zeit am Tag.

 

"Mama, darf ich raus?" Diese Frage war zwar Pflicht aber eigentlich kannte ich die Antwort. "Wenn du die Hausaufgabengemacht hast und komm wieder wenn die Lampen angehen!" Gemeint waren natürlich die Straßenlaternen, die immer bei Einbruch der Dämmerung automatisch anfingen zu leuchten. Wir wohnten in einem eher ruhigen Teil mitten im Ruhrgebiet. Neubaugebiet mit vielen Baustellen, einem Abenteuerspielplatz und verwilderten Grünflächen. Perfekte Abwechslung für abenteuerlustige Kinder.

Verabredet war ich selten. Das würde ja auch nur über Telefon gehen und Telefon kostete. In der Schule hieß es nur. Komm´ste heute raus? Das bedeutete, man trifft sich an den berüchtigten Treffpunkten. Bei uns war es der Spielplatz.

 

Da standen die anderen schon. Oft waren es bis zu 10 Kindern, die bei uns alle in der Straße wohnten. Man nannte das dann wohl Straßenbande. Wir waren damals alle so zwischen 6 und 14 Jahren, Jungen und auch zwei Mädchen. 


Buden bauen und mehr

Es gab viele Möglichkeiten der Beschäftigung. Ganz oben standen natürlich die klassischen Straßenspiele. Verstecken, Räuber und Gendarm, Fußball, aber auch (wenn die Mädchen sich durchgesetzt haben) Seilspringen und Gummitwist. 

Doch am liebsten bauten wir Buden. Baumbuden, Erdbuden und Höhlengänge. Da, wie gesagt es viele Baustellen gab, waren Bretter, Balken und Nägel reichlich vorhanden. Es gab keine Bauzäune oder Absperrungen. Nach Feierabend war dort keiner mehr und wenn die Sachen da rumstehen... Aus heutiger Sicht undenkbar. Wir kletterten auf Kräne, probierten die Betonmischmaschine aus und öffneten alle nicht verschlossenen Türen.

 

Unsere Buden waren klasse. Mehre Stockwerke. Mit Teppich ausgelegt, abschließbar und gegen Feinde gesichert. Wenn diese dann fertig war kamen oft Menschen von der Stadt und rissen diese dann ab. Irgendein Erwachsener hat da wohl immer gepetzt. Egal, wir bauten dann eine Neue.


Feuerchen machen

Eine weitere Lieblingsbeschäftigung war Feuer machen. Irgendeiner hatte immer Sticken (Streichhölzer) dabei. Die Eltern rauchten ja damals noch fast alle und so war "Feuer besorgen" kein Problem. 

Holz gab es reichlich. Zur Not bedienten wir uns an den Baustellen oder zündeten zur Nachweihnachtszeit die Tannenbäume an. Oft grillten wir dann in der Glut Kartoffeln. Natürlich ohne Alufolie. "Dreck reinigt den Magen" und die Mutigen aßen die verkohlte Schale gleich mit. Die besten Kartoffeln, die ich je gegessen habe. Ohne Salz, ohne Kräuterbutter, ohne Dipp. Die versauten Finger ablecken gehörte danach einfach dazu.

Die Helden unter den Kindern organisierten Knaller. Überbleibsel von Silvester. Wir bauten daraus richtige Bomben. Knaller auspacken und das sich darin befindliche Pulver einfach zusammen in eine Trinkdose. Wenn es ein guter Tag war friemelten wir noch Wunderkerzen auseinander und mischen diese explosive Mischung zusammen. Die übriggebliebenen Zündschnüre zwirbelten wir dann zu einer langen Schnur zusammen. Ein Riesenspaß und echt gefährlich. 

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Bandenkrieg

Ja wir hatten Feinde. Die Jungs der Nachbarstraße machten oft ärger. Richtig Asozial waren die. OK vielleicht waren wir auch nicht besser. Wenn wir uns einzeln trafen, ging man sich aus dem Weg und alles war gut. Doch in Gruppen hatten wir alle eine große Fresse. Es gab schon so manche Rauferei. Nicht wirklich gefährlich und natürlich ohne Waffen. Eigentlich unbedeutend, doch wir lernten Konflikte zu lösen.

Straßenfest

Einmal im Jahr feierten wir mit den Erwachsenen ein Straßenfest. Es gab reichlich zu Essen und die Eltern kippten sich ordentlich einen hinter die Binde. Jemand organisierte mal eine Torwand, eine Seifenkiste oder ein Trampolin. Wir Kinder hatten überdurchschnittlichen Spaß. Ein Vorteil war, dass das Gebot "wenn´s dunkel wird kommt ihr rein" an diesem Abend aufgehoben wurde. Das gab es nur noch zu Silvester. Verstecken mit Taschenlampe im Dunkeln ist ganz besonders spannend, dauert allerdings auch um so länger bis alle wieder gefunden wurden.

Spätestens um 2:00 war der Spuk vorbei. Das Aufräumen mit allen Nachbarn am nächsten Tag war hingegen nicht so dolle. Naja gehörte halt dazu. Jahre später gab es kein Straßenfest mehr. Die Eltern und Nachbarn hatten sich im Suff verstritten. Wir Kinder hingegen sind teilweise heute noch befreundet.


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Kommentare: 3
  • #1

    Frank (Donnerstag, 04 November 2021 20:31)

    Sehr schön geschrieben. Buden bauen kenne ich auch noch. Schöne Zeit schöne Erinnerung. DANKE

  • #2

    Andreas Kurz (Sonntag, 27 Februar 2022 22:46)

    Wir brauchten keine Kletterhalle, wir hatten Bäume. Wir brauchten keine Achterbahn, wir hatten unser Ketcar. Wir brauchten kein Lasertec, wir spielten Räuber und Gandarm. Wir brauchten keine Bowlingbahn, wir spielten mit Murmeln. Alles etwas bescheidener, aber umsonst.

  • #3

    Thomas Kruse (Samstag, 03 September 2022 15:03)

    Ich bin mitten in einer Zechenkolonie und auch direkt an der Zeche aufgewachsen.Verabred-ungen wurden schon in der Schule abgeklärt.
    Und auch wenn man jeden Quadratzentimeter kannte,ging es meist auf die Halde.
    Nach Hause ging es wenn die Strassenlampen angingen.Sollte einer früher nach Hause oder wurden wir gesucht,kam der "Dorfunk" zum Einsatz.
    Einer fragte den Nachbarn ob er wüsste wo die Jungs sind.Dieser Verneinte,fand aber eine Lösung.Einfach über die Hintergärten die selbe frage gebrüllt.Irgendjemand wusste es immer, und die Antwort wurde auf die selbe weise zurückgeleitet.2 Ausnahmem gab es aber auch bei uns
    1.Das Strassen-,bzw.Kolonie-fest und an der Zeche die Barbarafeier.Da war das Ende meist offen.Ein Koloniefest bleibt bei mir wohl immer in bester Erinnerung.Es war der erste Samstag im Monat und damit auch der berühmte "Lange"Samstag(bis 16.00 hatten die Läden auf) und geiles Sommerwetter.Erst in die Stadt und die "kleine Kirmes " genossen.Dann zurück in die Siedlung und zum Fest.Offizell ging es so bis 22.00 Uhr.Aber danach ging es in den Gärten meist noch bis früh morgens weiter.