
Der Ort der Versuchung
Bei uns in Dortmund hieß dieser kleine Verkaufsladen einfach Büdchen. Manche Menschen nannten es Selterbude (nach dem Mineralwasser), manche Kiosk und manche Trinkhalle. Typisch Ruhrgebiet. Auch heute gibt es an vielen Orten solche Lädchen. Dort wurde in erster Linie Zeitungen und Zeitschriften, Zigaretten, Getränke, Süßigkeiten, Eis und jede Menge Kram angeboten. Eigentlich eine abgespeckte Version des Tante Emma Ladens umme Ecke.
Ich erzähle Euch einfach mal ein paar Anekdoten, die wir Kinder aus´m Pott dort alles erlebt haben. Viel Spaß beim Lesen.
Süssigkeiten
Für uns Kinder war das Büdchen in erster Linie der Ort, um den Süßigkeiten- Vorrat aufzufüllen. Entweder war man mutig und sagte: Eine gemischte Tüte für ne Mark oder man suchte gezielt aus. Das war nicht nur für den eigenen Geschmack besser, sondern schulte auch das 1x1.
In erster Linie gab es viele Weingummivariationen, Lakritz & Kaugummi. Schokoladenriegel und Eis gab´s nur, wenn das Portemonnaie gefüllt war. Bei 1 DM Taschengeld die Woche war das allerdings selten der Fall. Bei so einer gemischten Tüte hatte man viel mehr von und man konnte besser teilen. Nicht selten fiel dann so eine Bestellung folgendermaßen aus. 5 Fruchtgummischuhe für 10 Pfennig, eine Lakritzschnecke für 10 Pfennig, 4 Kaugummikugeln für 20 Pfennig, 20 Brausedinger für 20 Pfennig und für den Rest Smilies. Der Büdchenbesitzer hatte ordentlich zu zählen, freute sich dennoch in glückliche Kindergesichter zu schauen. EIN HELD.
Alkohol, Zigaretten und Feuer
In meiner Straße gab es zur damaligen Zeit einige Baustellen. Wir Kinder holten dann gerne für die Bauarbeiter Bier, Underbergfläschchen und Zigaretten. Als Lohn durften wir uns für ein paar Pfennigen was aussuchen. Wie? Kinder durften Alkohol und Zigaretten kaufen? Nein, durften Sie eigentlich nicht. Aber wenn man den Büdchenbesitzer kannte, ging einiges.
Und wenn es mal schwierig wurde, dachte man sich als Kind halt eine Geschichte aus. Das klappte dann fast immer.
So kam ich auch an meine ersten Streichhölzer. Die waren eigentlich immer wichtig. Wichtig zum Feuerchen machen, wichtig für von Silvester übriggebliebene Knaller und ja auch für die ersten von den Eltern stibitzten Zigaretten. Viele Kinder versuchten sich im frühsten Alter mal an Tabakgenuss. Aber mit 12Jahren schmeckt das nun wirklich nicht.
Zeitungen und Zeitschriften
Anders als heute waren Zeitungen und Zeitschriften neben dem Fernseher die wichtigsten Informationsquellen. Bild, Bravo, Comics, Fernsehzeitungen und Frauenzeitschriften waren die Verkaufsschlager am Büdchen. Und dann gab es noch diese "Schmuddelzeitschriften" mit nackten Frauen. Ganz oben stand da natürlich der Playboy. Ziemlich teuer und für uns Kinder fast unerreichbar. Es sei denn, einer der Freunde lieh sich ein Exemplar vom Vater. Dann sammelten sich in erster Linie alle Jungs artig um das Heftchen, staunten und kicherten. Ansonsten waren Comics aller Art angesagt und später halt die Bravo.
Meine Zwille
Zum Schluss noch eine eher persönliche Anekdote, die aber typisch für diese Zeit war. In unserem Büdchen lag im "Schaufenster" einmal mehrere Zwillen (Steinschleudern) in zwei Ausführungen. Einmal für 50 Pfennig ein Drahtgeflecht mit einem Gummiband. Schnell sah ich bei meinen Freunden, dass das Murks war. Draht verbog sich, Gummi riss schnell. Und dann gab es diese Zwille aus massiven Kunststoff mit einem dicken Gummi, wie man es von Einmachgläsern kannte. Genau mein Ding. Aber 2,50 DM? Wo sollte ich nur so viel Geld organisieren? Was soll ich sagen? Die nächsten zwei Wochen holte ich für die Bauarbeiter Bier und Zigaretten. Gab meinen "Lohn" nicht direkt für Süßigkeiten aus, sondern sparte es. Am Ende lag die teure Zwille in meinen Händen. Solche Kindheitserinnerungen prägen den Charakter und bleiben (wie man sieht) für immer im Gedächtnis.
Ich hoffe, meine kleine Erinnerung hat Euch Spaß gebracht. Ich persönlich finde es toll solche Erfahrungen hier zu teilen und bedanke mich für die Aufmerksamkeit. Vielen Dank lieber Thomas für diese Webseite.
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Verra B aus Dortmund (Donnerstag, 09 Dezember 2021 15:20)
Hallihallo, komme auch aus Dortmund und genauso war´s wie hier beschrieben. Danke für Flashback!!! ❤️❤️❤️❤️
Mike (Freitag, 17 Dezember 2021 17:18)
Genauso und nicht anders
Harry (Montag, 27 Dezember 2021 23:13)
Tolle Geschichte und absolut real!
Eine richtige Zwille haben wir uns damals aber selber gebaut. Aus einem Gummiband, zerschnitten aus einem Gummiring von den Einmachgläsern aus dem Bestand von Mutters Kochutensilien und eine geeignete Astgabel hat man dann auch irgendwie gefunden. Mein Gott solch eine Zwille war rückbetrachtet sogar lebensgefährlich gewesen, konnte man mit der sogar Kieselsteine verschießen.
Aber wir Kinder haben es überlebt!
Retro Fan (Mittwoch, 05 Januar 2022 23:02)
Der nächste Supermarkt war ja weit weg. So blieb nur das gute Büdchen. Bei uns hieß es übrigens Trinkhalle.
Hartmut w. (Samstag, 08 Januar 2022 22:36)
Als Raucher war ich Stammgast an unserem Kiosk. Hab mich in die Besitzerin verliebt und später geheiratet. Schöne Zeiten.
Petra S. (Dienstag, 11 Januar 2022 19:47)
Bei uns hieß es: "Geh' mal eben anne Buude Bier kaufen!" :-)
Horst F. (Samstag, 29 Januar 2022 21:50)
Es kommt mir vor als wenn es gestern war und ich am Fenster des Büdchen stand
und mir mit gesammelten Bierflaschen ( 15 Pfennig ) und Colaflaschen ( 30 Pfennig)
von den Baustelle der alten Verkäuferin im voraus erzählte was für Süßigkeiten ich
in meiner kleinen weiße Papiertüte haben möchte , Herrlicher Flashback , irgendwie
war diese Zeit damals für uns "Traumhaft"
Astrid (Dienstag, 01 März 2022 22:38)
Büdchen ist Ruhrgebietskultur. Einfach nur Kult.
Nik (Sonntag, 10 April 2022 22:50)
Was für geile Geschichten hier. Nach dem Schwimmen immer noch ans Büdchen. Oder natürlich während der Schulpause. Mann wieviel Weingummi habe ich damals eigentlich gegessen. Wenn ich meine Wanne seh wohl zu viel. LoL
Anja (Donnerstag, 02 Juni 2022 21:47)
...das Büdchen nach der Schule war das Beste, 1 Pfennig Brausebonbons rosa, Wassereis rot 20 Pfennig, Rollmops 50 Pfennig (in der weißen Pommes-Pappschale) oder an den Kaugummiautomaten für 10 Pfenning mit der ewig gleichen Hoffnung den Ring zu bekommen. Später im Studium gab es in der Kinderklinik eine Box mit kleinen Geschenken..und da lagen sie, die begehrten Ringe...hab mir 3 an den kleinen Finger gesteckt und war echt glücklich und Rollmöpse esse ich auch heute noch gerne...nur das Wassereis ohne Aromastoffe lässt mich kalt. Schön, dass man gerne zurückschaut...
Geddi H. (Donnerstag, 08 September 2022 07:29)
Gibt´s ja immer noch, aber es fehlt der Charme der damaligen Zeit.