MEINE SCHULZEIT IN DEN 60ERN UND 70ERN


Schule in den 60ern und 70ern

Meine erste Schule war erst Ende der 50er eingeweiht worden, weil das alte Schulhaus längst zu klein geworden war. Schon in den 20ern hatte es dort Schicht-Unterricht gegeben. Ein Teil der Schüler hatte vormittags Schule, der andere nachmittags. Nach dem Krieg kamen dann die "Babyboomer",  zu denen auch ich gehöre.



Meine älteren Geschwister hatten noch das alte Schulhaus besucht. Ein einfaches dreistöckiges Wohnhaus, wo sich die Schüler den Platz mit der Feuerwehr, einer kleinen Polizeiwache und dem Meldebüro teilen mußten. Sie waren bestimmt froh, als sie der Enge entfliehen konnten. In der neuen Schule gab's zwei Schulhöfe und eine moderne Turnhalle. Vorher hatten sie Turnunterricht im Kellergeschoß eines Gebäudes mit Wohnungen, Wirtschaft und großem Festsaal.

 

Unsere Schule war eine Volksschule (Grund- und Hauptschule), also vier Jahrgänge Grundschule und vier Jahrgänge Hauptschule. Die 9. Klasse mußte die Schule im Nachbarort besuchen. Je mehr Schüler auf weiterführende Schulen gingen, desto weniger blieben für die Hauptschule übrig. Deshalb gab es Doppelklassen, d.h. die 5. + 6. Klasse sowie die 7. + 8. Klasse teilten sich je einen Klassenraum und einen Lehrer.

 

Außerdem gab es einen Raum für eine Waldschulklasse. Da kamen regelmäßig Kinder aus der Stadt und aus Stadtteilen, die nicht so viel Natur hatten wie wir. Alle paar Wochen gab es nachmittags eine "Mütterberatung". Auch wenn es so klingt, als hätte da eine Hebamme Sprechstunde gehalten. Die Mütter konnten dort mit ihren Babies einen Kinderarzt aufsuchen. Die gab es zu dieser Zeit nur sehr selten. Kinder gingen damals - wie alle anderen auch - zum Hausarzt.

 

Als ich eingeschult wurde, waren die Grundschulklassen meist überfüllt. Für meinen Jahrgang gab es deshalb 2 Klassen. Im Erdgeschoß befand sich damals auch ein Raum der Stadtbücherei mit Kinder- und Jugendbüchern. Drei Jahre nach meiner Einschulung kam wieder ein geburtenstarker Jahrgang, der zwei Räume brauchte. Da wurde die Bücherei kurzerhand rausgeschmissen. Ab diesem Zeitpunkt gab es in unserer Stadt eine Fahrbücherei.

 

Zu meiner Zeit gab es den Ausdruck "Kann-Kinder" noch nicht. Aber man hat trotzdem darauf geschaut, ob die Kinder schon für die Schule geeignet sind. Letztlich haben dann aber doch wieder die Eltern entschieden. Ein Schularzt hat uns damals im Schulhaus alle körperlich untersucht. Sie ließen uns auch alle einen Test machen. (Ich kann mich nur noch daran erinnern, daß wir auf einem Rechenblatt die Linien freihändig nachziehen mußten.) Und trotzdem haben sie dann fast alle eingeschult. Einige hätten aber besser noch ein Jahr warten sollen, weil sie sich nicht so leicht taten mit der Schule. Dann hätten sie aber wohl im Kindergarten anbauen müssen.

 

Zur Einschulung gab's einen schönen neuen Lederranzen und eine Schultüte. Diese war allerdings nur zur Hälfte gefüllt. Unten war reichlich Zeitungspapier drin. So sparte man Geld, und die Tüte war nicht so schwer. Alle Familien hatten bei den Bäckern für ihre Kinder eine riesige Schulbrezel bestellt. Das war ein riesiger Kuchen in Form einer Brezel. Diese wurde in Stücke aufgeteilt und in der Nachbarschaft ausgetragen. Man bekam dann eine oder zwei Mark als Geschenk. Das war damals viel Geld. Einen Teil der Brezel haben wir natürlich auch selbst zum Kaffee gegessen.

 

Vor der Zeremonie in der Schule mußten alle noch in die Kirche gehen. Alle gingen in die evangelische Kirche. Die war größer als die katholische und lag näher zum Schulhaus. Dort bekamen wir alle unseren Segen. Hat gewirkt, habe die zehn Jahre ohne Unterbrechung geschafft.

 

Als ich auf die Realschule wechselte, gab es eine Neuheit: die Vorschule. Zuerst gab es eine Vor- und vier Grundschulklassen. Später dann zwei Vor- und drei Grundschulklassen. Ein paar Jahre wurden die Doppelklassen der Hauptschule beibehalten, dann mußten die Klassen 5 bis 8 in den Nachbarort gehen - genau wie die 9. Klasse. 

 

Zu diesem Zeitpunkt wurde auch der Rektor versetzt. Weil es nicht mehr genug Kinder im Ort gab, war die Begründung.

 

Heute gibt es eine Betreuung für die Grundschüler. Diejenigen, die diese wahrnehmen, bekommen ein Mittagessen. Platz haben sie ja jetzt genug! Eigentlich auch für die rausgeschmissene Bücherei... Aber einmal die Woche kommt die Fahrbücherei.

 

Als ich dann in der Realschule war, gab's etwas Neues: Mengenlehre. Die meisten sahen keinen Sinn darin. War vielleicht gut für's logische Denken. Aber das beherrschte ich schon. Immerhin konnte ich jetzt meine Aufgaben zusammen mit meinem 4 Jahre jüngeren Neffen machen. Er besuchte die erste Grundschulklasse. Und hatte Mengenlehre!

 

Die nächsten sechs Jahre waren nicht mehr so nach meinem Geschmack. Das ganze Umfeld war so anders. Die Zeiten waren schwieriger. Terrorismus, Drogen, Politik. In dieser Beziehung hätte ich auf die 70er gerne verzichten können. Eine aus meiner Klasse konnte nicht verbergen, daß sie haschte. Ein paar Jahre später erschoß sich ein Klassenkamerad, der drogenabhängig war. Ein weiterer stand wieder einige Jahre später in der Zeitung als soundsovielter Drogentoter der Stadt.

 

Ständig wurde man kontrolliert, weil sie Terroristen suchten. Es gab große Schülerdemos gegen den Kultusminister. Die Mode und die Farben waren schrill. Da waren mir die 60er lieber gewesen.

 

Andererseits sind mir die 70er doch auch positiv in Erinnerung. Die Menschen waren lockerer, schauten positiv in die Zukunft. Man glaubte, den Rassismus und die Nazis überwunden zu haben. Die Anrede "Sie" war faktisch abgeschafft. Wo, um Himmels Willen, sind wir damals falsch abgebogen, daß heute alle wieder so rückständig und verbissen sind?

 

Ich habe die Schule hinter mich gebracht und trotz der hohen Jugendarbeitslosigkeit einen guten Ausbildungsplatz bekommen.

 


Vielen Dank liebe Dagmar, dass Du diese Erinnerung mit uns teilst.

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Kommentare: 1
  • #1

    Saftrak (Freitag, 02 Juni 2023 22:54)

    Hurra, endlich gefunden, froh darüber, und über die geschichtlichen Geschichten. Und sogar Faktisches gelernt: das Wort "Kann-Kinder" ist mir vollkommen fremd. Alles in allem eindrucksvoll und gut nachvollziehbar.
    Danke dafür!